N. Camilleri: Staatsangehörigkeit und Rassismus

Cover
Titel
Staatsangehörigkeit und Rassismus. Rechtsdiskurse und Verwaltungspraxis in den Kolonien Eritrea und Deutsch-Ostafrika (1882–1919)


Autor(en)
Camilleri, Nicola
Reihe
Global Perspectives on Legal History (19)
Anzahl Seiten
XIV, 297 S.
Preis
€ 23,94
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Wurzer, Max Planck Institut für ethnologische Forschung, Halle (Saale)

Es ist mittlerweile ein gut belegter Allgemeinplatz der Kolonialismusforschung, dass die Otherness der Kolonisierten weder inhärent noch stabil gewesen war; um die eigene Herrschaft zu legitimieren, mussten Kolonialregime diese definieren und aufrechterhalten. Das war nicht nur ein politisches, sondern auch ein juristisches Projekt: Rechtsgeschichtliche Studien demonstrierten, dass das Staatsangehörigkeitsrecht ein mächtiges Herrschaftsinstrument war, das die koloniale Gesellschaft in Staatsbürger:innen und Unterworfene unterteilte und somit erheblichen Einfluss auf individuelle Lebenswelten nahm (S. 3f.).

Bisherige Studien interessierten sich vor allem für die Rechtsnormen der Staatsangehörigkeit. Nicola Camilleri baut zwar auf diesem Erkenntnisstand auf, geht sodann aber wesentlich darüber hinaus: In seinem Buch, das auf seiner 2017 an der Freien Universität Berlin verteidigten Dissertation fußt, untersucht er, wie das Staatsbürgerschaftsrecht in der italienischen Kolonie Eritrea sowie in Deutsch-Ostafrika zwischen 1882 und 1919 implementiert und praktiziert wurde. Sein Fokus liegt daher auf der Genese der unterschiedlichen Rechtsstatus, auf den Rechtsdiskursen, die diese legitimierten und die Verwaltungspraxis, die die Gesetzgebung exekutierte, wobei er der zugrunde liegenden rassistischen Ideologie spezielle Aufmerksamkeit schenkt (S. 5).

Um dieses Erkenntnisinteresse zu stillen, strebt Camilleri eine Institutionsgeschichte an, die „kulturelle und soziale Hintergründe in globalgeschichtlicher Perspektive berücksichtigt“ (S. 2). Dazu legt er seine Studie „komparativ und globalgeschichtlich“ an (S. 13). Letzterer Zugang dränge sich auf, weil sich eine Auseinandersetzung mit Kolonialismus „per se als globalgeschichtlich“ verstehe (ebd.). Ergo konzeptionalisiert der Autor Kolonien als geografische Räume, in denen sich die „koloniale Weltordnung materialisierte und operierte. Sie und ihre Akteure eingehend zu untersuchen“, argumentiert Camilleri, „heißt daher, lokale Bezüge eines globalen Phänomens, den Knotenpunkt zwischen lokal und global zu beobachten“ (ebd.).

Um diese Beobachtung vorzunehmen, bedient sich der Autor eines vergleichenden Zugangs. Die Auswahl der Untersuchungsräume, die Camilleri „als sozio-rechtliche und sozio-politische Räume kolonialer Praxis“ definiert (S. 6), begründet er wie folgt: Italien wie Deutschland waren nationalstaatliche wie koloniale Latecomer (S. 5). Darüber hinaus verfügten die Kolonie Eritrea und Deutsch-Ostafrika nicht nur über ähnliche Gesellschaftsstrukturen, sondern entstanden etwa zur gleichen Zeit: einer Periode, in der sich beide Kolonialmächte „zum ersten Mal mit der rechtlichen Stellung der Bevölkerung ihrer Kolonien auseinandersetzen mussten“ (S. 6).

In methodologischer Perspektive „ermöglicht es [der Vergleich], die unterschiedlichen Faktoren wahrzunehmen, die im imperialen Raum beider Kolonialreiche gewirkt haben“ (S. 2). Camilleri führt den Vergleich auf zwei Ebenen durch: Auf einer horizontalen untersucht er das Staatsangehörigkeitskonzept und „setzt die beiden ,Mutterländer‘ Deutschland und Italien im Lichte […] der zugehörigen Diskurse mit dem lokalen Umgang mit diesem Konzept ins Verhältnis“ (S. 13). Auf vertikaler vergleicht er die Rechtspraxis bezüglich des Rechtsstatus indigener Menschen (ebd.).

Dazu bedient sich Camilleri nicht nur eines mikrohistorischen Ansatzes, sondern auch eines transnationalen. Schließlich schenkt seine vergleichende Analyse dem Austausch, Transfer und der wechselseitigen Beeinflussung über nationalstaatliche Grenzen hinweg große Aufmerksamkeit (S. 14). Der Autor begreift die Beziehungen zwischen Metropole und Kolonie nicht als hierarchische Abhängigkeitsverhältnisse, sondern als multivektoriell und komplex bzw. versteht die miteinander in Verbindung stehenden Räume „als gemeinsame Interaktionsarenen“ (ebd.), zwischen denen Menschen, Güter und Wissen zirkulierten.

Camilleri strukturiert sein Buch in drei Teile. Der erste (Kapitel 1 und 2) widmet sich der Etablierung kolonialer Herrschaft und ersten juristischen Normierungsversuchen. Der zweite (Kapitel 3) nimmt sodann die Staatszugehörigkeitspolitiken als koloniales Herrschaftsinstrument in den Blick. Der letzte Teil (Kapitel 4 und 5) lotet die Grenzen der Gesetzgebung in der Verwaltungspraxis aus.

Im ersten Teil interessiert sich der Autor für die Anfänge des Staatsangehörigkeitsrechts in Eritrea und Deutsch-Ostafrika und fragt „inwieweit […] das europäische Recht diese kolonialen Eroberungen legitimieren [konnte] und wie […] sich die beiden Kolonialmächte gegenüber der Bevölkerung“ (S. 17) verhielten. Diesbezüglich kommt Camilleri zum Schluss, dass das Verhältnis zwischen den indigenen Bewohner:innen und den Nationalstaaten zunächst „uneindeutig“ (S. 88) gewesen sei. Sie blieben von der metropolitanen Rechtssphäre ausgeschlossen, wobei eine Anerkennung der Staatsbürgerschaft bei Erreichen einer „höheren Zivilisationsstufe“ möglich schien; in der zeitgenössischen Perspektive der Juristerei sei also „der Grad der Zivilisation […] der entscheidende Faktor in der Diskussion über die rechtliche Stellung der kolonialen Bevölkerung“ gewesen (ebd.).

Erst nach der Konsolidierung der kolonialen Herrschaft erfolgte in Eritrea und Deutsch-Ostafrika eine genauere Bestimmung der Rechtsstatus. Dies ist das Untersuchungsfeld des zweiten Teils, in dem der Autor die Konzepte Staatsbürger.innen- und Untertan:innenschaft gegenüberstellt und fragt, „welche rechtliche Stellung die koloniale Bevölkerung in Deutsch-Ostafrika und Eritrea hatte“ (S. 18). Camilleri argumentiert diesbezüglich, dass beide Kolonialregime eine differenzierte Gesetzgebung etablierten, die Kolonisierende und Kolonisierte voneinander separierte. Im Detail haben sich die Rechtsstatus letzterer Gruppe allerdings erheblich unterschieden: In Eritrea schuf die Kolonialverwaltung neben dem Status der „Sudditi“ (Untertan:innen) den der „Assimilati“. Dieser Begriff bezeichnete Ausländer:innen, die aus Ländern stammten, die als unzivilisiert galten. Sie waren indigenen Personen rechtlich gleichgestellt. In Deutsch-Ostafrika verfügten indigene Personen über keinen festgelegten Rechtsstatus. Der eingeführte Begriff der „Schutzgebietsangehörigkeit“ fand nämlich kaum Anwendung. Der Vergleich kommt zum Ergebnis: Während in Deutsch-Ostafrika der Rechtsstatus indigener Personen ungeklärt blieb, wurde dieser in Eritrea eindeutiger definiert. Diesem lag zwar auch ein rassistisch begründeter Ausgrenzungsmechanismus zugrunde; die bloße Zuerkennung schuf allerdings eine Rechtspersönlichkeit und brachte eine dürftige Rechtssicherheit mit sich. Camilleri argumentiert, dass die geopolitische Lage Eritreas zwischen dem Kaiserreich Abessinien und dem Osmanischen Reich dafür verantwortlich war (S. 157f.).

Im dritten Teil untersucht Camilleri anhand von Einbürgerungsverfahren und Familienverhältnissen, inwiefern das Staatsangehörigkeitsrecht Statuswechsel ermöglichte (S. 18). Der Autor zeigt, dass die Möglichkeit der Einbürgerung zwar vorgesehen, in der Praxis aber Indigenen vorenthalten blieb. Während sich in Deutsch-Ostafrika ehemalige Bürger:innen oder solche „deutscher“ Herkunft erfolgreich um Anerkennung bemühten, bewarben sich in Eritrea vor allem „Assimilati“. Ihre Erfolgsaussichten hingen von sozio-ökonomischen Faktoren ab. Die Grundvoraussetzungen waren „eine gute Reputation, die Fähigkeit, sich selbst und die eigene Familie zu unterhalten sowie eine kulturelle Nähe zur Nation“ sowie „eine Lebensführung, die dem europäischen Zivilisationsmodell entsprach“ (S. 254). Rechtsstatuswechsel gab es auch durch Eheschließungen, die in beiden Kolonien zunächst möglich, zunehmend aber durch Verbote (Deutsch-Ostafrika) und behördlichen Druck (Eritrea) verhindert wurden. Die Anerkennung von Kindern aus solchen Ehen war in beiden Kolonien umstritten. Sie wurde nur ermöglicht, wenn sich „ein hoher Zivilisationsgrad der Familie des ,Mischlings‘ nachweisen ließ oder die Kolonialverwaltung einen utilitaristischen Zweck darin erkannte“ (S. 255), wobei die deutschen Kolonialbeamten besondere Rigidität bewiesen.

Camilleris Buch überzeugt auf ganzer Linie: Ausgehend vom Forschungsstand identifiziert er ein Desiderat, entwickelt eine passende Herangehensweise und arbeitet die aufgeworfenen Fragen in quellengesättigter und methodologisch souveräner Art und Weise ab. Er stützt seine Argumente vor allem auf Material aus dem Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde und dem Staatsarchiv in Rom. Bestände aus dem Research & Documentation Centre und Stadtarchiv in Asmara sowie dem Nationalarchiv Tanzanias in Dar es Salaam runden das Korpus ab. Besondere Anerkennung verdient der Autor für den sorgsamen Umgang mit den Dokumenten aus den Archiven, die qua ihrer Provenienz ausschließlich die Perspektiven der Kolonialmächte erhebbar machen. Er erkennt die problematische „Schieflage“ und beweist, dass er sich den eingeschriebenen Machtverhältnissen bewusst ist (S. 15). Ebenso große Sensibilität demonstriert Camilleri im Hinblick auf afrikanische Ortsnamen: Er verzichtet auf die Varianten aus der kolonialpolitischen Praxis, was selbst in der Historiografie nicht selbstverständlich ist, und bietet stattdessen wissenschaftliche Übersetzungen an (S. 17).

Das Buch ist allen zu empfehlen, die sich für koloniale Rechtsgeschichte und den Zusammenhang von Staatszugehörigkeit und Rassismus interessieren; darüber hinaus werden es alle jene mit Gewinn lesen, die sich Fragen sozialer In-/Differenz und Zugehörigkeit im kolonialen Setting widmen und dem Vergleich als Methode Aufmerksamkeit schenken. Camilleri lässt nationalstaatliche Kategorien hinter sich und schöpft stattdessen das komparative Erkenntnispotenzial mit Erfolg aus. Das Ergebnis beeindruckt und sollte zur Nachahmung animieren.

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